17. Adventskalendertürchen

Ausgetretene Pfade sind die sichersten, aber es herrscht viel Verkehr.

(Jeff Taylor)

 

 

Wenn der Camino hinter Lugo nach links bergauf vom Fluss abdreht, um fast ausschließlich auf Sträßchen nach Melide und zum Camino Francés zu führen (über 40 km), gibt es mehrere Alternativwege, die zunächst gemeinsam wunderschön am lauschigen Flüsschen Mera entlangführen.

 

In Matelo (10 km hinter Lugo) habt ihr noch einmal die Wahl entweder völlig herausgenommen von der Welt durch die galicische Natur zu lustwandeln oder den Sträßchen zu einem uralten Heiligtum zu folgen:

 

Santa Eulalia de Bóveda/ Santalla (galicisch)

 

Ursprünglich wurde dieser präromanische Tempel wohl der Gottesmutter Kybele gewidmet. Oh, von der habt ihr noch nie etwas gehört? – Ich hoffe, ihr habt keine allzu sanften Gemüter, denn diese Sage ist schon ... – uaaah!, diese Bilder kriegt man so schnell nicht wieder aus dem Kopf!

 

Einst schlummerte Zeus auf dem Berg Agdos und „ließ dabei seinen Samen zu Boden fallen“ (wodurch bewiesen wäre, dass sexuelle Handlungen an sich selbst noch nie zum Verlust des Sehvermögens geführt haben!). Wo dieser die Erde „benetzte“, wuchs ein dämo­ni­sches Zwitterwesen, Agdistis, das so ganz und gar nicht den Gefallen der Götter fand und von ihnen flugs kastriert wurde. Während er sich, seines männlichen Attributs beraubt, seiner weibliche Seite widmete und zur großen Gottesmutter Kybele wurde, verschrumpelte sein abgetrenntes Körperteil nicht etwa, sondern wurde zu Attis, einem Schönling, der sofort Kybeles Herz gewann (na klar, die beiden waren ja schließlich vorher ein Kopf und ein ...), die auf diese Weise ihre Männlichkeit zurückbekam, nur eben ein bisschen anders. Sie ver­brachten einige Zeit in Glück, Liebe und sicher auch Leidenschaft, bis Attis sein Herz an eine andere verschenkte, Kybele den Laufpass gab und der anderen die Ehe antrug. So nicht! Vor Eifersucht schnaubend polterte Kybele auf die Hochzeitsfeier und schlug alle mit Wahnsinn, was bei Attis sofortige Wirkung zeigte: Er rannte in den Wald, ent­mannte sich selbst und verblutete. Da merkte Kybele, dass sie damit so gar nichts gekonnt hatte. Gut, eine andere bekam ihren Geliebten jetzt nicht, aber sie ja auch nicht! Reumütig bat sie Zeus um Wiederbele­bung, aber der speiste sie nur mit Unverwesbarkeit ab, was nicht so wirklich das Gelbe vom Ei war, weil tot ja nun unverwest zwar frischer aussieht, aber nicht weniger tot ist.

 

 

Diese Geschichte jedoch wurde zum Grundstein eines alljährlichen Festes mit „orgiastisch-ekstatischen“ Zügen, rituellen Selbst-Kastratio­nen der Priester und dem Initiationsritus

 

Taurobolium:  Der Täufling steht unter einem Holzgitter, auf dem ein Stier geschlachtet wird, und versucht, mit dessen Blut so viel tierische Kraft wie möglich aufzufangen: „Er  beugt sich rücklings, damit sie seine Wangen, seine Ohren, seine Lippen, seine Nase treffen; er benetzt seine Augen mit dem Nass, ja er schont nicht einmal seinen Gaumen, sondern fängt das schwarze Blut mit der Zunge auf und trinkt es gierig.“ (Aurelius Prudentius Clemens, 4./5. Jh.) – Ich habe euch gewarnt!

 

 

So kriegen wir schüttelnd die die Kurve zurück zu diesem Tempel: Auf einer spanischen Seite heißt es, im oberen Teil des einst zweigeschossigen Baus seien Stiere für eben diesen Ritus geschlachtet wur­den. Ihr Blut habe man im Becken unten aufgefangen und ihre Geschlechtsorgane in Nischen platziert. Diesen Ekel wasche ich jetzt aber schnell mit einer anderen These weg, die ihn ein Nymphäum, Quell-/Brunnenhaus, sein und aus einer Nische Wasser in das Becken plätschern lässt.

 

 

 

 

Jedenfalls wurde diese Stätte erst später der Märtyrin

 

Eulalia von Mérida

 

geweiht, einer der am meisten verehrten Heiligen Spaniens. Sie soll sich im Jahr 304 mit nur zwölf Jahren vom Anwesen ihrer wohlhabenden Familie davongeschlichen haben, um gegen einen Erlass zu protestieren, nach dem Christen den römischen Göttern Opfer bringen mussten. Prompt wurde sie verhaftet und, auf gutes Zureden und Dro­hungen hin hatte sie ein Götzenbild umgestürzt, mit eisernen Krallen und brennenden Fackeln gefoltert und bei lebendi­gem Leib verbrannt, woraufhin „ihre Seele in Form einer Taube“ in den Himmel auffuhr.

Für die Übernachtung in Friol (26,6 km nach Lugo) gibt es leider keine Herberge, aber ein sehr nettes Gästehaus (Zimmer mit Badewanne!). In Meson (45,6 km nach Lugo) trifft die Route auf den Camino Norte, führt über das Kloster von Sobrado dos Monxes (so schön!) nach Boimorto und trifft entweder in Arzúa oder mit einer weiteren Alternativroute in A Brea auf den Camino Francés.

 

Text: „Camino Primitivo für Bauchfüßler“ – Nordroute

Fotos: Wegstein auf der Nordroute

An der Mera

Santa Eulalia de Mérida, Mérida

Kloster Sobrado dos Monxes