"Die schönste Zeit im Leben sind die kleinen Momente, in denen du spürst, du bist zur richtigen Zeit, am richtigen Ort, mit den richtigen Menschen."
(Lebensweisheit)
Es gibt Momente auf den Caminos, die sind so ... halsknödelig groß, Geschenke, die man erlebt, in seinen Bauch packt und sein Leben lang mit sich nimmt. Einen davon erlebten wir auf dem von Los Arcos nach Viana:
Die Staubstraße ist sehr weit überschaubar, es ist früh am Morgen und die Pilger sind alle
sehr kompakt zusammen. Wenn man jetzt nach vorne und hinten guckt, sieht es ein bisschen aus wie Volkswandertag. Die Einsamkeit der ersten Tage, in denen wir manchmal stundenlang gelaufen sind,
ohne einem einzigen Menschen zu begegnen, ist ja schon seit Puenta la Reina vorbei. Aber hier haben wir wirklich das Gefühl, von Menschen umzingelt zu sein. ...
Dann geht es ein bisschen den Berg hinauf. Ich schlappe wieder irgendwo hinter Thomas her, der, wie Emma, die Lokomotive, in seinem Schritt vor sich hinwackelt. Manchmal muss ich grinsen, denn unsere unterschiedlichen Weisen zu gehen entsprechen so typisch unseren Wesen: Thomas langsam, stetig, überlegt, zuverlässig, ich mal schnell, mal langsam, mal hoppelnd, mal kriechend, mal voll Energie und Übermut und mal mit hängender Zunge. Zeige mir, wie du gehst, und ich sage dir, wie du bist.
Als ich ihn stehen sehe, rufe ich ihm zu, dass er ruhig weitergehen soll und nicht auf mich zu warten braucht, doch er bedeutet mir, leise zu sein. Also schleiche ich mich auf Stiefelspitzen an … und bin ehrlich gesagt ziemlich überwältigt.
Wir kommen gerade rechtzeitig zu einer spontan abgehaltenen Messe im engsten Kreis einer kleinen Pilgerschar unter freiem Himmel. An der Ermita Nuestra Señora del Poyo, die nur aus den eingefallenen Resten eines alten Gemäuers besteht, gibt es einen kleinen Steintisch mit Bank. Vor dem Tisch stehen zwei männliche Gestalten im weißen Messgewand und zelebrieren gerade die Gabenbereitung. Sie sprechen englisch, aber ich bin lange genug katholisch erzogen, dass ich keine deutschen Worte brauche.
Wir werden aufgefordert, uns aufzustellen: Katholische Christen sollen ihre Hände öffnen, um die Kommunion zu empfangen, alle anderen ihre Rechte auf das Herz legen, um einen Segen zu erhalten.
Ich nehme meine Viertel Hostie und stelle mich ein bisschen abseits. Diese Szene ist so … Dafür gibt es einfach keine passenden Worte. Mir laufen die Augen über (oh, guckt mal, ich kann wieder weinen!). Ich möchte die anderen jedoch auf keinen Fall durch mein Geschnüffel stören und mir dieses Bild ganz feste einprägen, damit ich es nie vergesse.
Ich mache das sowieso gerne: Wenn ich in einer Situation stehe, die mich berührt, setze ich mich ein bisschen ab, beobachte die Szene, genieße es, sie beobachten zu dürfen, sauge sie in mich hinein, verschließ‘ sie in meinem Bauch (der ist schließlich nicht ohne Grund so ... umfangreich) und gebe sie nicht mehr her.
Am Ende des Gottesdienstes kann ich mir endlich tüchtig die Nase schnäuzen, ohne dabei allzu unangenehm aufzufallen. Dabei beobachte ich, wie die beiden Priester ihre Messgewänder über die Köpfe ziehen. Und siehe da: Es ist Bruder Schoki, der seine Patschefingerchen nicht von den Äpfeln lassen kann, und sein Begleiter. Ich könnte die beiden gerade mal küssen dafür, dass sie uns so einen schönen Moment geschenkt haben. Denn genau das ist es: ein wunderschöner Moment, den ich nie, niemals vergessen werde!
Ha, ihr Spanier, verschließt und verrammelt ihr nur eure Gotteshäuser, pfff, die brauchen Pilger nicht, um eine Messe zu feiern! Davon einmal abgesehen kann auch das prächtigste, goldigste und prunkvollste Altarbild nicht mit dem mithalten, was uns hier umgibt: Blauer Himmel, weiße Wölkchen, strahlender Sonnenschein und eine traumhafte Landschaft, hoch oben mit einem weiten Blick quer über ein Stück Erde, das so wunderschön ist, bis hin zu den schneebedeckten Mützchen der hohen Berge, die das Bild beschließen. Wer braucht da eine Kirche?
Text: "Weiter, weiter, immer weiter!"
Fotos: Auf dem Weg von Los Arcos nach Viana