9. Adventskalendertürchen

"Möchten doch alle erkennen, daß in der Vielfalt der Religionsformen nur eine Religion sich kundgibt."

(Nikolaus von Kues (Nicolaus Cusanus))

 

 

Heute möchte ich gerne mit euch in Deutschland bleiben und mitnehmen auf den Mosel-Camino. Jetzt denkt ihr vielleicht: ‚Boah, ist das langweilig, immer am Fluss entlang!‘ – Nein, es geht nur ganz wenig an der Mosel und super viel über die Hügel zwischen ihren Schleifen. Das ist nicht wenig anstrengend, beschert aber von oben wunderschöne Aussichten auf das Tal und es macht richtig Spaß ihn zu laufen!

 

 

 

Einer der bekanntesten Orte ist sicher Berkastel-Kues, was sehr praktisch ist, weil ich zu ihm eine nette kleine Legende und einen Herrn gefunden habe, der mich ziemlich beeindruckte. Uuund ich kann mit euch kurz die Kirche St. Michael besuchen.

 

 

 

 

Zuerst die Geschichte des Doctor-Weins:

 

Man erzählt sich, dass Boemund II., Kurfürst von Trier, während eines Besuchs auf der Burg Landshut an hohem Fieber erkrankte. Die Ärzte doktorten, ließen zur Ader, schröpften, tupften und schmierten, doch nichts half. Da kam ein alter Winzer mit einem Fässchen seines besten Weines und versicherte dem Kurfürsten, dies sei die beste Medizin. Der ließ sich nicht zweimal auffordern (ich kann mir denken, dass er nach dem Motto „viel hilft viel“ tüchtig einen gebechert hat!), hatte hinterher zwar einen ziemlichen Kater, aber das Fieber war weg. Von Stund‘ an durfte  der Winzer seinen Wein Berncasteler Doctor nennen. Ob die erfolglosen Ärzte entlassen wurden und ihren Kummer über ihre Arbeitslosigkeit in eben diesem ersäuften, habe ich keine Informationen gefunden, wohl aber ist belegt, dass König Edward VII. von England (1841 – 1910) sich am Genuss dieser Medizin erfreute (ob er dadurch öfters kränkelte, ist wieder nicht belegt).

 

Zum auf diese Weise sehr erfolgreichen Weinbau gesellte sich ab 1466 ein ebenfalls bühender Erzbergbau. Die Stadt wuchs und gewann an Bedeutung. Aber dann kamen düstere Zeiten: Der Ort blieb weder vom Dreißigjährigen Krieg verschont noch von der Pest 1627 und auch nicht von  einer Belagerung durch die Franzosen, die damit endete, dass die Stadtbefestigung 1689 geschleift wurde.

 

 

 

 

Kirche St. Michael

 

Sie hat ihren Stil des 14. Jh. in die Gegenwart gerettet. Ich finde, sie steckt voll Gegensätze, die sie aber immer harmonisch zu einem runden Bild bringt. Das beginnt schon mit den verschieden breiten Seitenschiffen, die den Innenraum noch lockerer machen.  Wenn wir (ich gehe jetzt mal im Uhrzeigersinn herum) am Marienaltar (1750) vorbei in die Kneipsche Kapelle treten, werden wir als erstes vom Heiligen Jakobus begrüßt und verlassen zumindest untenherum diese offene Leichtigkeit in eine dustere Heimeligkeit, in der die Apostel einen schützenden Kreis um uns bilden, während wir am Sebastianus-Pestaltar (1631) mit einer der schlimmsten Zeiten der Menschheit konfrontiert werden. Dann schwebt links der Erzengel über uns (ich hab den schon als Kind gemocht, weil er so jung war und leicht; diese Darstellung finde ich besonders schön, schwebend und statt siegesstolzbrustgeschwellt auf erlegten Drachen posierend mit der Waage der Gerechtigkeit in der Hand), dahinter zwei wunderschön geschnitzte Chorbänke und ein weiterer Pestaltar, der das Grauen der Vergangenheit fast greifbar macht.  Davor der moderne Hauptaltar mit fluffig lockerem Blattwerk und der Lesepult, an dem Gott nicht nur schützen über den ängstlich nach oben schauenden  Hirten schwebt, sondern über eine Säule wie mit ihnen verbunden ist.

 

Der Nikolausaltar im rechten Seitenschiff stammt aus um 1750.

 

Habt ihr auf den Fußboden geachtet? Habt ihr die Jesuslatschen gefunden? (solche haben wir als Jugendliche getragen – Heideröslein, ist das lange her!). Ich finde, solche Kleinigkeiten machen den Charme eines Ortes aus!

 

Und vermisst ihr etwas? - Genau! Das Taufbecken steht in einem eigenen Raum neben dem Haupteingang, an einer besonders schönen Pietà (Darstellung der Muttergottes mit dem Leichnam Jesus, Anfang 15. Jh.) vorbei, frei im Raum und irgendwie heimelig umgeben von den Darstellungen des Kreuzweges. So umhüllt der Tod die Geburt und stellt doch das Leben in den Mittelpunkt. Ich weiß nicht, wie es euch dabei geht, aber mir macht das Gänsehaut!

 

 

 

 

Auf der anderen Flussseite findet ihr das

 

St.-Nikolaus-Hospital (Cusanusstift, 1452 - 1456). Der Anzahl der Lebensjahre Christi entsprechend nahm es genau 33 alleinstehende Männer auf (6 aus dem Adel, 6 aus dem Klerus und 21 Bürger). Heute ist es ein Altenheim, in dem seit den 1960er Jahren auch Frauen ihren Lebensabend verbringen dürfen.

 

Damit wären wir bei

 

Nikolaus von Kues – erst dachte ich, hei jo, ein Berühmter halt. Dann habe ich ein bisschen gelesen und finde, der Mann war ein Hammer!

 

1401 geboren wurde er schnell zu einer Ikone der Mathematik, Theologie und Philosophie. Als Erster war er davon überzeugt, dass das Weltall unendlich ist und die Erde nicht ihr Mittelpunkt sein kann, weil ein unendlicher Raum keinen Mittelpunkt besitzt. Und das im 15. Jh.! - Nur mal eben: Die Sonne hörte mit Galileo Galilei erst 1615 auf sich um die Erde zu drehen.

 

Damit nicht genug: Er räumte dem Islam Legitimität ein! Glaubenskriege und Kreuzzüge waren ihm zuwider. In seinem Werk Über den Frieden im Glauben stellte er eine einfache und doch so geniale These auf: Gott hat den Menschen, die in unterschiedlichen Bedingungen leben und daher verschiedene Bedürfnisse und Lebensweisen haben, jeweils einen Propheten geschickt, durch den er sein Wort für jeden passend verkünden ließ.

 

Wer nun denkt, dass er damit der katholischen Kirche ganz schön an den Karren gefahren ist – im Gegenteil: Er schaffte es, trotz seiner revolutionären Sichtweise in die höchsten Ämter hinaufzurutschen. Am Ende war er sogar als Generalvikar der Stellvertreter des Papstes selbst … wobei er den wohl nicht wirklich überzeugen konnte, denn er starb 1464, als er für Papst Pius II. Kreuzfahrer nach Ancona bringen sollte, von wo eine Kreuzzugsflotte gegen die Türken auslaufen sollte.

 

 

 

Text: "Mosel-Camino für Bauchfüßler"

Fotos: Bernkastel-Kues