Nachgedanken

Heute Nacht sind wir aus dem kalten Spanien zurückgekommen ins kalte Deutschland. Irgendwann piepste die Autowarnung, dass es Glatteisgefahr hätte. Und das am 25. Mai. Na klasse!

Daheim stürmte ich ins Haus und kriegte erst einmal einen Farbflash. Naja gut, unser Flur ist auch wirklich ziemlich bunt. Und dann hing ich auch schon an den Hälsen unserer beiden daheim gebliebenen Leben und ließ sie nicht mehr los. Ich wusste ja schon fast gar nicht mehr, wie die aussehen! Und sie hatten extra auf uns gewartet!

Kinders, wisst ihr eigentlich, wie schön das ist, seine mitgebrachte Wurst in den eigenen Kühlschrank zu packen? Seine Sachen in die eigenen Schränke zu räumen? Auf seiner eigenen Terasse zu stehen und sich seinen eigenen Garten anzusehen? Auf seiner eigenen Toilette zu sitzen? An seinem eigenen Waschbecken seine Zähne zu putzen? Ich sage euch, das ist unglaublich! Und am Ende im eigenen Bett zu liegen, in frischer Bettwäsche, einen frischen Schlafanzug an! Ich wollte gar nicht einschlafen, weil alles so gut duftete! Ich lag nur da, die Augen geschlossen, und schnüffelte an meiner Bettdecke!

Nun ist mein Camino tatsächlich und unwiderruflich zu Ende. In der Woche, die ich noch mit Thomas, Marius und Freunden in der Nähe von Barcelona verbrachte, war das noch so ein bisschen fast aber auch nicht ganz gar nicht. Das ist nun vorbei. Ich sitze in meinem Haus, auf meinem Sofa, an meinem Tisch, an meinem PC, trinke Kaffee aus meiner Tasse und tippsele in meinen PC.

Aber irgendwie ist manchmal nur mein Körper hier und mein Bauch noch ganz weit weg unter einem knallroten Regenponcho und bei den Menschen, die mir unterwegs so lieb geworden sind. Von einigen habe ich schon Nachrichten bekommen und ich könnte jedes Mal heulen, weil ich sie so gerne in den Arm nehmen und drücken möchte. In mir ist so ein Hin- und Hergerissensein zwischen dieser Freude, endlich wieder zu Hause zu sein, endlich wieder in meinem Umfeld zu sein, in dem ich mich so wohl und geborgen fühle, und der Traurigkeit, auf all die Menschen verzichten zu müssen, die mich so lange und so lieb auf dem Camino begleitet haben. Und ich weiß ganz genau, dass das noch ganz lange so sein wird. Ich komme ja schließlich nicht zum ersten Mal vom Weg zurück.

 

Aber ich weiß auch, dass die Freundschaften, die dort geschlossen werden, sehr besonders sein können. Guckt euch nur Silke an: Wer ist denn so bescheuert, fährt 25 Stunden mit dem Bus und läuft jemand anderem drei Tage lang hinterher, nur um ihn ein Stückchen weit zu begleiten? Und in einem Monat sind wir zur Hochzeit von John und Cordula aus unserem ersten Jahr eingeladen! Hallo! Das ist schon vier Jahre her!

Nein, nein, der Camino ist und bleibt etwas ganz Besonderes. Und "Pilgerer" (drückdich!) ist man nicht nur auf dem Weg. Entweder man ist es und dann ist man es immer, oder man ist es nicht. Dann hat man aber zumindest eine schöne Wanderung gemacht.

 

Ich werde immer wieder gefragt, warum ich den Weg noch einmal gegangen bin. Beantworten kann ich das aber nur mit dem Kopf: Ich wollte auch einmal über die Pyrenäen watscheln, wollte noch einmal in ganz bestimmten Herbergen übernachten und die 12 km, die wir im ersten Jahr mit dem Auto gebracht werden mussten, die haben mich einfach geärgert. Aber das ist nur ein kleines Stückchen Grund. Das Meiste davon liegt in meinem Bauch. Aber das kriege ich nicht in Worte gefasst. Und selbst wenn doch, würden das nur die verstehen, denen ich es nicht erklären brauche, weil sie auch so wissen, was ich meine. Camino ist einfach ein Gefühl, so wie Glück, Freude und absolute Zufriedenheit Gefühle sind. Nun erklärt mal einem, der diese Gefühle nicht kennt, wie sich das anfühlt, das Gefühl, und schon fühlt ihr, dass man Gefühle fühlen muss - wisst ihr, was ich meine?

Rie hat mich in Santiago gefragt, wie ich diesen Weg noch einmal gehen konnte, wo doch jetzt die Menschen vom ersten Mal gefehlt haben. Für sie seien die Menschen, die ihr unterwegs begegneten, ganz wichtig gewesen und sie könne sich nicht vorstellen, ihn noch einmal zu gehen und dabei andere Menschen zu treffen, die ihr ebenso wichtig werden könnten, weil sie immer vergleichen würde.

 

Hm. Ich glaube, das ist der Vorteil, wenn man den Camino nicht auf einen Rutsch, sondern in Häppchen geht: Wenn man beim ersten Mal aufhört, dann ist da ja noch so viel unbekannter Weg, den man ja auch sehen will. Natürlich vermisst man die Menschen aus dem ersten Jahr, aber wenn man neu losläuft, weiss man ja inzwischen aus einjähriger Erfahrung, dass die ja nicht einfach verschwunden sind, sondern man sie weiterhin hat, nur anders halt. Außerdem ist man gespannt auf den Weg und freut sich auch auf andere Menschen. Im dritten Jahr war das genauso. Das waren meine drei Thomas-und-ich-Caminos.

 

Als ich dann wieder von vorne angefangen habe, hatte ich darin ja schon Übung. Außerdem war die Situation für mich anders: Ich war zum ersten Mal alleine unterwegs, alleine weg von Göttergatten und Leben. Da war für mich ja wieder alles anders und neu. Da muss ich aber auch sagen, dass ich noch nie so wenige Kontakte auf dem Weg hatte, wie im letzten Jahr. Ich war einfach zu viel mit mir selbst beschäftigt und habe die Menschen um mich herum nicht so wahrgenommen. Aber ich habe es auch nicht vermisst. Ich glaube, das war mein innerer Camino.

 

In diesem Jahr habe ich unglaublich viele Menschen getroffen und liebgewonnen, habe ganz viele Gespräche geführt, ganz viel mitgenommen, ganz viel gefühlt. Das lag sicher auch daran, dass ich nicht alleine losgegangen bin. Helga und Silke haben mir keine Gelegenheit für eigenbrödlerisches Zurückgeziehe gelassen und als sie mich verlassen hatten, hatte ich keine Lust mehr darauf. Erst am Ende dachte ich, dass es gut für mich wäre, wenn ich noch ein paar Tage alleine verbringe. Hm. Blöd, blöd, blöd! Trotzdem war es für mich mein magischer Camino, auch wenn das Wetter oft eher verhext als zauberhaft war.