Dieser Abend hat mich so aufgewühlt, dass für mich an schlafen so gar nicht zu denken ist. Ich kann es noch immer nicht wirklich glauben, was ich hier erlebt habe. Oh, und dabei habe ich noch die eine oder andere Kleinigkeit vergessen: Um mich herum liegen drei Koreanerinnen, die zuerst "nur" den Hospitaleros und dann uns allen ein Ständchen bringen. Ihr Gesang ist so anrührend, so schön, so harmonisch - uh, ich kriege noch immer eine Krusselhaut! Und zwischendurch düdeln sie auf Pfeifchen traurige Melodien. Zum Schluss lassen sie auch noch ein "Nehmt Abschied Brüder" erklingen! Na klasse! Dieses Lied hab ich noch nie unbeheult überstanden!
Nehmt Abschied Brüder - ja, ich glaube, das ist es. Es hängt mir schon seit Samstag im Bauch: Ich habe Heimweh ohne Ende. Ich will nicht mehr.
Irgendwann mitten in der Nacht gehe ich nach draussen und setze mich auf eine Bank. Der HImmel ist klar und diese Eremita ist so weit weg von jeder Straßenlaterne, dass der Himmel über mir seine ganze großartige Pracht entfalten kann. Er ist riesig und derart voll mit Sternen, dass es mir mitten in den Bauch fährt. Na klasse, als ob da nicht schon genug wäre!
Diese Herberge ist das absolut wunderbarste, was ich in diesem Jahr erlebt habe. Das kann nichts und niemand mehr toppen. Aber nach diesem "Nehmt Abschied Brüder" wollen meine frisch gewaschenen und geküssten Treterchen nicht mehr. Das heißt: Mein Bauch hat beschlossen, dass sie nicht mehr zu wollen haben. Ich will "heim". Ich will zu Thomas und Marius. Ich vermisse meine Männer so. Ich will wenigstens zwei von ihnen wieder um mich herum haben.
Und wenn ich jetzt hier aufhöre, kann ich genau hier auch wieder anfangen. Hihi, dann kann ich ja gleich am Anfang meiner Wanderung noch einmal meine Füße waschen und knutschen lassen! Ist das nicht eine wunderbare Aussicht?
Ich kämpfe noch ein Weilchen, aber dann weiss ich, dass mein Weg hier zu Ende ist. Und endlich, es ist schon morgens, kann ich schlafen.
Und ich verschlummere prompt fast das Frühstück! Als ich merke, dass alle anderen schon frisch gewaschen und bestiefelt am Tisch sitzen, ist es schon lange nach 7.00 Uhr. Macht nichts, denn mein Weg wird heute nicht mehr weit sein: Nur noch nach Fromista zur nächsten Bushaltestelle.
Ich verabschiede mich mit einer dicken Umarmung von unseren Hospitaleros, und damit sie etwas haben, wovor ihnen schon jetzt grauen kann, erkläre ich ihnen, dass ich im nächsten Jahr wiederkommen werde. So. Selbst schuld. Wer anderen die Füße küsst, muss damit rechnen, dass der beküsste wiederkommt.
Unterwegs fange ich noch einmal an zu zögern, denn meine Füsse laufen wie geschmiert (oder gebadet und geküsst?). Wenn ich heute nicht nur bis da, sondern bis dort laufe, dann könnte ich morgen ... Ich merke, wie ich anfange, mit dem Camino um die Wette zu laufen, und das hat er einfach nicht verdient.
In Fromista ist meine Endstation für heute. Als kleine Überraschung zum Schluss treffe ich hier eine Mutter aus Australien mit ihrer Tochter wieder, die ich schon seit dem Zug nach San Jean kenne, und das letzte Gesicht, das ich sehe, ist das von dem Italiener: Aber es ist längst nicht mehr so blau und geschwollen.
So, meine Lieben das war es. Und ich freue mich schon jetzt darauf, mir im nächsten Jahr wieder die Füsse küssen zu lassen!
Vielen Dank, dass ihr mich begleitet habt! Knuddeleuch!