Schon gegen 5.00 Uhr ist das Gewusel in der Halle gross. Ich kann jetzt sowieso nicht mehr schlafen, also mache auch ich mich fertig und bin um 6.00 Uhr (!!!) auf dem Weg. Und das war eine wirklich gute Idee, denn ich erlebe einen der schönsten Sonnenaufgänge, die ich je gesehen habe, oben auf den Mesetas über den Getreidefeldern - einfach grandios!
In der Kirchenruine von San Antón ein paar Stunden weiter gibt es zwei Nischen, in denen die Mönche dieses Klosters früher Wasser und Brot für die Pilger bereit gestellt haben. Leider gibt es die aber wohl nicht mehr. Aber ich finde es richtig schön, dass es sie gab. Und imposant ist das alte Gemäuer allemal: Mitten durch die Ruine führt die Autostrasse, sozusagen ein religiöser Drive-through.
Als ich in Castrojeritz für eine Tasse Kaffee und ein Stück Tortilla über eine Bar herein breche, ist es noch lange nicht Mittag. Also beschliesse ich, hier nicht zu bleiben, sondern noch ein Stückchen zu gehen.
Am Ortsausgang sitzt ein älterer Sen(na, ihr wisst schon)or und bietet mir freundlich nicht nur einen Platz auf einem zweiten Hocker an, sondern auch die Orange, die er in der Hand hält. Ich hasse es, dass ich mich nicht zu ihm setzen und mit ihm ein Schwätzchen halten kann. Ich meine, das mit dem Sitzen bereitet mir ja im Allgemeinen keine Schwierigkeiten und das mit dem Schwätzen ja auch nicht, das Problem ist, dass er mir nicht so aussieht, als dass er Deutsch könnte. Und was ich in Spanisch auf die Beine - oder vielmehr Lippen - kriege, reicht für ein tengo hambre (fütter mich gefälligst), tengo sed (tränke mich gefälligst) und quiero una cama (sorg gefälligst dafür, dass ich irgendwo schnurcheln kann). Damit hat es sich dann aber auch schon ganz fürchterlich.
Also winke ich ihm nur so freundlich wie möglich ein gracias entgegen und ärgere mich fürchterlich über meine mangelnden Sprachkenntnisse. In meinem nächsten Leben komme ich als Spanier auf die Welt; dann passiert mir das nicht mehr!
Kaum habe ich den Ort verlassen, überfallen mich gar schreckliche Erinnerungen: Der Buckel, der vor mir liegt, hat mir vor drei Jahren schon frisch und am kühlen Morgen so manches bisschen Kraft gekostet. Jetzt bin ich schon seit 6 Stunden auf den Beinen und die Sonne meint es ausgesprochen gut! Ich greife auf meine Geheimwaffe zurück: Hijo de la luna. Dazu stelle ich mir vor, daheim im Aroha-Kurs zu sein, Heinz aufmunternde Geräusche zu hören und Hilde vor mir herum hupfen zu sehen, schon geht es wie geschmiert. Ich brauche genau dreimal dieses Lied, schon bin ich nonstop im Dreivierteltakt hinauf gewutscht. Huch? Wer? Ich? Wow!
Wusstet ihr schon, dass ich der Hammer bin? Nein? Hihi, ich auch nicht!
Oben geht es ein Stückchen geradeaus und dann wieder sehr steil hinunter. Noch ein Weilchen geradaus, dann komme ich an: Eremita de San Nicolás.
Diese kleine, alte Kirche ist so schön! Wir haben sie schon vor zwei Jahren gesehen. Damals dachte ich: Hier würde ich gerne einmal schlafen. Jetzt bin ich da. Es ist 14.00 Uhr, ich bin 31 km gelaufen, das reicht für heute. Ich bin noch ein bisschen unsicher, weil ich nicht weiss, mit wem ich die nur 8 Betten teilen werde, aber als ich eine Dame aus Schottland sehe, die frisch geduscht und frisch vor sich hin strahlt, weiss ich: Ich werde mir diesen Wunsch heute erfüllen. Nein, eigentlich ist es mehr als ein Wunsch. Es ist ein Traum. Aber wie traumhaft er sein wird, weiss ich da ja noch gar nicht.
Diese Herberge wird von einer italienischen Bruderschaft des heiligen Jacopo di Compostela di Perugia betrieben. Die Türen dieses Hospitzes sind den ganzen Tag geöffnet, damit das geneigte Pilgervolk hier eintreten, sich ausruhen und wunderbares frisches Wasser gut schmecken lassen kann. Leider wutschen die meisten einfach an diesem Ort vorbei und können es gar nicht abwarten, in den nächsten Ort einzufallen und dort die Bars zu plündern. Selbst schuld! Sie wissen gar nicht, was ihnen hier entgeht!
Die Hospitaleros kochen hier für ihre Gäste. Aber bevor sie zum allgemeinen Geschmatze blasen, gibt es eine kleine aber sehr, sehr, sehr feine Zeremonie: Wir sitzen vor einem kleinen Klappaltar im Halbkreis, die beiden Hospitaleros hängen sich ihre Jäckchen um, begrüßen uns uns erzählen uns von ihrer Bruderschaft. Dann beziehen sie sich auf die biblische Szene, in der Jesus beim letzten Abendmahl den Jüngern die Füße wusch. Als sie ihm sagten, dass sie ja wohl ungekehrt ihm die Füße baden sollten, erwiderte er, dass er für SIE da sei, nicht umgekehrt sie für ihn. Sie, die Hospitaleros, seien ja nun auch für uns da und würden uns nun ... na, könnt ihr es euch denken? Kinders, das ist der Hammer! Sie kommen mit einem Wännchen und einem Kännchen lauwarmen Wasser und waschen uns jedem einen Fuss. Einer schrubbt, der zweite hat ein Tuch, um ihn abzutrocknen. Dazu wünschen sie jedem, dass seine Füße ihn heil und gesund nach Santiago bringen möchten. Huh! Und als ob das nicht schon anrührend genug wäre, wird jedes frisch gereinigte Treterchen am Ende auch noch geküsst!
Meine Lieben, ich habe auf diesem Weg schon so viel Wunderbares und Großartiges gesehen, fühlte mich schon so oft bis in die Knochen berührt, hab schon so manchen Tröpflein aus den Augen verloren, aber das hier, das ist so ... so ... Ich kann es gar nicht sagen, wie! Und es wird uns mit einer solchen Selbstverständlichkeit geschenkt! Dafür gibt es keine Worte!
Keine Worte gibt es auch für das, was uns die beiden als Abendessen gezaubert haben: Maccaroni so auf den Punkt gekocht mit einer himmlischen Sosse. Wir lassen uns gerne alle noch einen Nachschlag geben. Wir sind ja nun auch hungrig und gehen alle davon aus, dass es das war. Falsch gedacht: Als nächstes gibt es Eier in einer Tomatentunke mit allem, was der himmlische Kräutergarten so zu bieten hat. Mmmmmm. Und damit wir auch ja nicht hungrig schnurcheln müssen, gibt es noch einen wunderbaren Salat und Käse satt. So. Das ist jetzt auch, was wir wirklich sind: Satt. Wir hocken alle tonnenschwer und rundum glücklich und zufrieden auf unseren Stühlen und fragen uns nur noch eins: Wer rollt uns morgen über den Camino?