Espinosa

Ich bin heute guuuuut drauf. Irgendwie habe ich wohl diese Nacht unter den Augen Gottes besonders gut geschlafen. Wir waren auch erfreuchlich wenige Pilger im Raum: Nur siebenstimmes Gebrummel - und das Brummen eines Beatmungsgeraetes, das ich aber schon von Zubiri kenne.

 

Kurzes Fruehstueck, noch eine liebe Umarmung, ein buen camino und die Bitte, fuer die Hospitaleros zu beten, wenn ich in Santiago ankomme. Ich werde es ganz bestimmt nicht vergessen!

Der Weg geht ganz lane entlang einer Strasse. Das geht ja gar nicht! Dieses Gebrumme, da hoere ich ja meine Gedanken gar nicht. Es ist zwar schon lieb, dass die LKW-Fahrer immer hupen und winken, aber das muss ich nun ja doch nicht auch noch immerzu hoeren. Ich winke gerne auch zurueck, ohne die Hupe zu hoeren. Also mache ich mir meine Stoepseln in die Ohren. Mit ihnen hoere ich meine Gedanken zwar auch nicht, aber das liegt weniger an der Musik, als an meinem lauthalsen Gegroele. Irgendwie sind immer wieder zwei Italiener um mich herum. Die Armen! Nach diesem Morgen mit meinem Getraeller kommen die auf alle Faelle in den Himmel, auch ohne Compostela!

 

Irgendwann hilft auch mein Geschmettern mir nicht mehr weiter, und ich finde die beiden haben jetzt mehr als genug gelitten. Also Stoepsel wieder raus, Kopf runter und durchbeissen. Meine gute Laune geht langsam aber sicher schonmal voraus in Richtung Santiago und laesst mich allein zurueck. Ich finde auch irgendwie keine Bar. Also hocke ich mich irgendwo an den Wegesrand und rauche trotzig ohne Kaffee eine Zigarette.

 

Und dann kommt die Panik: Ob ich bei Don Camino noch ein Bett kriege? Was, wenn nicht? Weiter gehen? Aber da kommt vor den Gansbergen nicht mehr viel.

 

Manchmal ist der Camino in diesem Jahr, wie ein grosses Wettrennen um das letzte Bett. Irgendwie versetzen mich die Massen in solche Panik, dass ich wirklich mit mir kaempfen muss, mich von dem Run auf eine Schlafstaette nicht anstecken zu lassen. Das kann ja wohl nicht der Sinn dieser Wanderung sein!

 

Tatsaechlich trifft mich, als ich um 11.00 Uhr in Belorado ankomme, schier der Schlag: Da ist die ganze Strasse vor der Herberge schon von Pilgern belagert. Es gaebe hier nur 20 Betten, aber ich koenne mich ja gerne auch schonmal anstellen. Hallo!

Nuestra Senora de la Pena, Belorado
Nuestra Senora de la Pena, Belorado

Ich bedanke mich und erklaere, dass ich schon lange weiss, dass ich in Espinosa uebernachten werde, wuensche noch einen schoenen Tag, buen camino und hasta luego. Dann sehe ich zu, dass ich Land gewinne.

 

Leider nehme ich mir durch meine Panik aber auch nicht die Zeit, mir diese kleine Eremita anzusehen, die bei Belorado mitten in den Fels hinein gebaut ist. Menno, bin ich doof!

Laut Reisefuehrer sind es noch 2,5 Stunden bis Espinosa. Es wird richtig heiss, ich bin muede, meine Beine sind schwer, ich habe nicht genug zu trinken dabei (mein bloeder Wasserbeutel ist sowas von undicht!), ich schaffe es in 1,5 Stunden. Um 12.30 Uhr erreiche ich das haessliche, halb verfallene Haeuschen von Pepe. Er hat gerade Siesta bis 13.30 Uhr. Nicht schlimm. Ich bade meine geschundenen Fuesse im eiskalten Brunnenwasser nebenan, bis sie fast so blau sind, wie das Gesicht des Italieners. Dann mache ich meine Dehnuebungen. Fuer die nehme ich mir manchmal einfach nicht genug Zeit. Heute hab ich sie. Und dann sitze ich nur in der Sonne und geniesse es, angekommen zu sein. Und ich habe nicht nur ein Bett, sondern ich bin die Erste und bis zum spaeten Nachmittag (dann kommt noch ein Paar aus Toronto an) auch Einzige.

Puenktlich um 13.30 Uhr streckt Pepe seinen lieben Kopf aus der Tuere. Ich koennte ihn kuessen, aber ich fuerchte, dann verrammelt und verriegelt er sofort seine gastliche Staette. Er will mir seinen Informationszettel zeigen, doch ich winke ab: Ich weiss Bescheid ueber den Preis, dass es Abendessen und Fruehstueck gibt und dass ich puenktlich am Tisch zu sitzen habe, wenn die Paella en punto ist, sonst blaest er mir den Marsch!

Er will mich in dem anderen Zimmer unterbringen, weil es ja groesser ist, aber ich gucke ihn lieb an, zerre ihn hinter mir her in "mein" Zimmer, stelle meinen Rucksack vor "mein" Bett und frage: Bueno? Aber das andere Zimmer sei doch groesser. Aber das hier ist MEIN cama, ich quiero da wieder schnurch. Na gut, wenn man sich so klar ausdrueckt, da hat auch Don Camino keine Argumente mehr.

 

Als Dankeschoen druecke ich ihm gleich meine kleine Gabe fuer sein Museum (sein Wohnzimmer, aber eigentlich ist das ganze Haus ein Museum) in die Hand: Einen Fingerhut, den ich noch schnell in Heidelberg besorgt habe. Er findet sofort einen Ehrenplatz in einer Glasvitrine und ein Camino-Halstuch seinen Weg um meinen Nacken: Es soll mich auf dem Camino immer umarmen und mich an ihn erinnern (glaube ich jedenfalls, dass er das gesagt hat).

 

Ich habe soooo viel Zeit! Ich mache grosse Waesche. Die Sonne scheint und es ist so warm, da traue ich mich sogar, meine Schlafsachen zu waschen. Dann hocke ich in einer Bar und trinke einen Kaffee nach dem anderen, waehrend ich Pilgerwatching betreibe. Hihi, ist das lustig. Es ist so heiss, da schickt man kein Kamel in die Wueste, aber das muntere Pilgervolk laesst sich von nix und niemandem abhalten, noch unbedingt das naechste Etappenziel zu erreichen.

 

Nur die beiden aus Toronto fragen nach einer Albergue. Ich erklaere, dass sie sich auf keinen Fall vom Aeusseren des Hauses abschrecken lassen sollen und dies eine der schoensten Unterkuenfte auf dem Weg ist. ich weiss auch nicht, warum sie mir glauben, aber sie tun es und sind hellauf begeistert. Und ich bin nicht mehr ganz allein mit Pepe. Irgendwie waere mir das schon komisch gewesen. Sie bekommen uebrigens das groessere Zimmer, so dass ich in den ausgesprochen seltenen Genuss komme, eine Nacht voellig unbeschnurchelt verschlummern zu koennen. Und ich hatte Angst, noch ein Bett zu bekommen!

Natuerlich komme ich zu spaet zum Essen (musste doch noch unbedingt "ganz schnell" etwas in Pepes Gaestebuch schreiben), natuerlich krieg ich einen Anpfiff (diesmal aber per Kuhglocke), natuerlich gibt es Paella, Wein und hinterher einen Schnaps, bei dem die Geister nicht wissen, ob sie belebt sein oder tot umfallen sollen. Jedenfalls loest es meine Zunge und ich spreche fliessend Franzoesisch, Spanisch, Englisch und Deutsch gleichzeitig.