14. Adventskalendertürchen

„Fließet aus dem Aug, ihr Tränen! All mein Hoffen, all mein Sehnen, Meines Lebens schönster Traum Hängt an diesem Apfelbaum!“

(Witwe Bolte in Max und Moritz, Wilhelm Busch)

 

 

 

Eine der bekanntesten Legenden der Jakobswege rankt sich um das Hühnerwunder von Santo Domingo:

 

 

 

Vor der Kathedrale vertrauen wir auf Gott und die Auf­richtigkeit der Menschen und lassen unsere Rucksäcke vor der Tür stehen, aller­dings, sicher ist sicher, nicht ohne uns vorher umzugucken und zwei Herren in Uniform aus­zu­machen, die uns beobachten.

 

Hihihi! Ich möchte nicht wissen, was die sich bei unserem Anblick so denken! Wir sind aber auch wirklich sehenswert mit unseren Kiepen, die fast größer und schwerer sind als ihre Träger, in Wanderschuhen (Thomas in seinen Jogging­schuhen – er läuft viel leichter, seit er die hat) und unseren durch die tägliche Handwäsche schon ein bisschen mitge­nommen wirkenden Klamotten. Zwischen all den Damen und Herren in Stöckelschüh­chen, Kleidchen und Anzügchen sehen wir sehr verwegen aus!

 

Jedenfalls sind wir uns sicher: Diese Ruck­säcke nimmt außer uns niemand. Und wenn doch, werden die unifor­mierten Herren sich bestimmt drum kümmern - vorausge­setzt die Diebe werden nicht vorher von einem Blitz oder dem Gestank unserer darin befindlichen Socken getroffen und fallen mausetot um.

 

Mit diesem Gottvertrauen besichtigen wir also die Kathedrale (sie ist nicht abgeschlossen, also nix wie rein!). Für Pilger ist sie ein besonderer Ort, denn in ihrem Innern gibt es einen Käfig mit einem Hahn und einer Henne.

 

 

 

Was das Federvieh in einer Kirche zu suchen hat, wollt ihr wissen? Oh, da machen wir doch schnell einen kleinen Aus­flug ins Land der Sagen und Legenden: Vor Unzeiten ist eine Pilgerfamilie aus Xanten auf ihrem Weg nach Santiago in Santo Domingo de la Calzada angekommen und hat in einem Wirtshaus übernachtet. Der Sohn der Familie war ein knacki­ges Bürschlein und machte die Tochter des Wirts ganz wuschelig. Aber Hallo! Man war schließlich auf einer Pilger­fahrt, da ist man keusch und poussiert nicht! Die Abgewie­sene hatte dafür allerdings kein Verständnis, spielte Zicken­krieg und steckte dem Jüngling kurzerhand einen silbernen Becher ins Beutelchen. Papa Wirt fand das freilich gar nicht lustig: Immer diese deutschen Pilger, denen darf man nicht weiter trauen, als dass man das Weiße in ihren Augen sehen kann! Er schickte dem Bürschlein den Büttel hinterher, das Objekt töchterlicher Begierde wurde geschnappt, kriegte einen Ruckzuck-Prozess und endete – schwups - als Zierde an einem netten, heimeligen Galgen. So, das hatte er nun von seiner Keuschheit! Die Eltern setzten ihre Pilgerfahrt fort, holten sich in Santiago ihre Tickets ins ewige Himmelreich und machten sich auf den Weg zurück nach Hause. Als sie wieder nach Santo Domingo de la Calzada kamen, sahen sie, dass ihr Spross zwar noch am Galgen baumelte, aber ansonsten mopsfidel war, weil (hier scheiden sich die Gemü­ter) entweder Santo Domingo (der Schutzpatron der Stadt) oder Santiago (der Heilige Jakob) ihn fest‑ und vom Sterben abhielt. Schnell flitzten sie zum Richter, der sich gerade zum Essen vor einen Teller gebratener Hühner niedergelassen und ein Lätzchen umgebunden hatte, und baten ihn um Gnade. Doch wer will es ihm verdenken, dass er ihnen nicht glaubte. Hallo! Von hier nach Santiago sind es noch 575 km - könnt ihr euch denken, wie lange der Kerl da gebaumelt haben soll? Nein, nein, der sei tot, mausetot, so tot, wie die Hühner auf seinem Teller! Und siehe da: Das hörten die Hühner, die sowieso keine Lust hatten, als Gaumenschmaus ihr Leben zu beenden, erhoben sich und wackelten – naja ein bisschen ungelenk und kopflos - davon. Söhnchen wurde abgehängt, Töchterchen dafür aufgeknüpft (diese Krawallschachtel wollte kein Heiliger halten), Xanten bekam seine Pilgerfamilie vollständig zurück und die Kathedrale einen Hühnerkäfig

 

 

Es heißt, wenn der Hahn kräht, während man sich in der Kathedrale befindet, steht die Pilgerreise unter einem guten Stern. Wir schlendern bewusst langsam einmal rund herum und warten, aber dieses blöde Vieh gibt keinen Ton von sich. Später erzählt uns jemand, dass der Hahn während der Messe tatsächlich gekräht hätte. Ein Schelm, der da auf die Idee kommt, dass das Krähen stets gerade recht in der Zeit (nämlich während des Gottesdienstes) geschieht! Wir jeden­falls verbringen endlos viel Zeit in der Kirche, doch bei uns kräht nix. Unfair ist das! Ich finde, man könnte den Gockel vom Band ruhig öfters anstellen als nur … - oh, ich Schelm!

 

 

Plötzlich füllen sich die Bänke schlagartig: Gottesdienst. So lange wollen wir nun doch nicht bleiben, also verlassen wir die Kirche.

 

Irgendwie hüpfen heute dauernd Menschen durch meine Gedanken, die leider viel zu früh gestorben sind. Gerade muss ich jedenfalls an unseren Opa denken, der ebenso wun­derbar und lieb wie misstrauisch Menschen gegenüber war, die er nicht kannte. Zu seinen Lieblingssprüchen gehörte: „Das sind alles Lum­pen und Verbrecher!“

 

Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass er damit einfach Unrecht hatte. Vielleicht sind heute gerade keine Leute unterwegs, die Lump und Verbrecher genug sind, sich an den Rucksäcken von Pilgern vor einer Kirche zu vergreifen. Viel­leicht ist auch einfach das Gemuffel aus unseren Taschen noch schlimmer, als wir dachten. Sie sind jedenfalls noch da (und wir wundern uns nur ein bisschen darüber, dass rund­herum lauter leblose Menschen liegen)(nicht erschrecken, das war nur eine Rüsssellaus).

 

 

Auf dem Camino Portugués gibt es übrigens eine ganz ähnliche Legende, deren Federvieh zum Symbol ganz Portugals wurde:

 

 

Galo de Barcelos

 

Der Hahn von Barcelos ist allgegenwärtig und so etwas wie das inoffi­zielle Maskott­chen von ganz Portugal geworden. Die Legende (die von euch, die die des Hüh­nerwunders von Santo Domingo de la Calzada ken­nen, werden denken: ‚Die hab ich schon mal anders gehört!‘) erzählt, dass ein Bauer auf Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela am Stadt­rand von Barcelos von einem reichen Landbesit­zer des Silberdiebstahls bezich­tigt, vor Gericht gestellt, als schuldig befunden und zum Tode durch den Strang verurteilt worden war. Als letzten Wunsch erbat er ein letztes Gespräch mit dem Richter. Alsbald zu ihm geführt, störte er diesen, als er sich gerade einen gebrate­nen Hahn munden lassen wollte. Als seine abermaligen Unschuldsbe­teue­rungen unerhört blieben, prophezeite er, dass dieser Hahn zum Zeichen des Irrtums während seiner Hinrichtung vom Teller hüpfen und krähen würde. Genau so geschah es: Während dem Leben des Pilgers am Galgen ein Ende gesetzt werden sollte, erwachte das des Federviehs (ist eigentlich ein bisschen blöd, weil Federn hatte es ja keine mehr …) aufs Neue, es erhob sich und ließ dreimal ein glockenklares Krähen ertö­nen (... naja gut, einen Hals auch nicht). Dem Richter gefror das Blut in den Adern. Er eilte, die Hinrichtung zu stoppen. Allein, er kam zu spät. Man hatte dem Bäuer­chen bereits aufgeknüpft. Allerdings hatte sich der Strick auf wundersame Weise gelöst, Pilgerlein landete ein wenig unsanft auf seinem Allerwer­testen, beendete seine Wallfahrt, kam aber einige Jahre später wieder zurück und errichtete eine Gedenkstätte für den Heiligen Jakobus und die Jungfrau Maria.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Texte: „Weiter, weiter, immer weiter“

 

„Camino Portugués für Bauchfüßler“

 

Fotos: Kathedrale Santo Domingo

Pilgerfigur in der Kathedrale

Hühnerstall der Kathedrale

Olive im Kreuzgang

Cruzeiro do Senhor do Galo, Barcelos