„Aus kleinem Anfang entspringen alle Dinge”
(Cicero)
Ich weiß nicht, wie es euch geht oder gegangen ist. Bevor ich anfing, mit einem Rucksack kreuz und quer durch Spanien zu latschen, hätte ich auf die Frage, welche Apostel mir – Los! – Stopp! – Schade! – einfallen, mit Petrus („auf dir will ich meine Kirche bauen“), Johannes (weil mein Bruder auch so heißt) und Lukas (ohne sein Evangelium stünde unter unserem Weihnachtsbaum keine Krippe) geantwortet. Ein Jakobus wäre mir da ... erst ganz am Ende eingefallen. Dabei gab es gleich zwei Jakobse unter den Jüngern, Jakobus der Jüngere und Jakobus der Ältere.
Weil das Heilige Jaköbchen aber der ist, dem unsere Pilgerschaft gilt, möchte ich diesen Adventskalender mit seiner Geschichte beginnen:
Jakobus der Ältere, Sohn des Fischers Zebedäus und der Salome (Schwester von Maria), Bruder von Johannes dem Täufer, zählte zu den Erstberufenen. Weil Johannes und er so eifrig waren, nannte Jesus sie liebevoll „Boannerges“, Donnersöhne. Beide waren bei seiner Verklärung anwesend (Math. 17, 1 ‑ 13) und begleiteten ihn zum Garten Getsemani (Markus, 14, 33).
Als Beschreibung seines Lebens nach der Kreuzigung Jesus fand ich in „Legende von den lieben heiligen Gottes“ von G. Ott (1858) folgende sehr anrührende Beschreibung: „... anstatt des Ehrgeizes hatte eine tiefe Demut in seinem Herzen Wurzel gefasst. Sein Leben war eine beständige Abtötung; Wasser war sein Trank, Brot oder Gemüse seine Speise, Fleisch und Fisch versagte er sich ganz und seine Kleidung war ärmlich, ein einfaches Unterkleid und ein leinenen Mantel“.
Die Legende sagt, Jakobus sei auf die iberische Halbinsel gekommen und habe dort erstmals am Santiaguiño do Monte bei Padrón (Camino Portugués) das Wort Gottes verkündet. Da seine Missionsarbeit nicht sehr erfolgreich war, kehrte er nach Judäa zurück und wurde im Jahr 43 von König Herodes Agrippa I. enthauptet. Damit war er der erste Märtyrer unter den Aposteln. Auf dem Weg zu seiner Richtstätte soll er noch einen Lahmen geheilt und um eine Flasche Wasser gebeten haben, um Josias, seinen Henker, zu taufen … der prompt ebenfalls seinen Kopf verlor.
Jakobus Schüler Teodoro und Atanasio legten seinen Leichnam in ein Boot, bedeckten ihn, so lautet eine Legende, zum Schutz vor Sonne und Vögeln mit Muscheln und fuhren mit ihm sieben Tage „von Engeln geleitet“ über das Meer. Eine andere Überlieferung erzählt, dass der Leichnam des Apostels vom Strahl eines Sterns begleitet wurde, der das Ross eines Ritters, der ihnen entgegeneilte, so erschreckte, dass es scheute und sich samt Reiter ins Meer stürzte. Meine Lieblingslegende lässt die Barke in Küstennähe in Seenot geraten. Das sah ein Ritter, der mit seinen Freunden auf dem Weg zu einer Hochzeit war, und trieb sein Pferd in die Fluten, um zu helfen. Dabei versank er und drohte zu ertrinken. Beide Geschichten enden damit, dass Ross und Reiter wundersam errettet wurden und über und über mit Muscheln bedeckt dem Wasser entstiegen.
Die Muschel wurde fortan zum Symbol der Jakobus-Pilger und unterschied den „wahren Jakob“ vom „billigen Jakob“, denn das mit den Reliquien war so eine Sache: Freilich gab es im Mittelalter noch keine DNA-Tests, mit denen man die Person der Gebeine tatsächlich belegen konnte (und hätte es die gegeben, hätte man noch eine Zahnbürste als Vergleich gebraucht) – wer konnte da also mit Gewissheit sagen, von wem die Knochen in einem Sarkophag tatsächlich stammten (übrigens waren Reliquien durchaus ein einträgliches Geschäftsmodell, das man wohl zu nutzen wusste. Es gab eine Zeit, in der man sich von Jesus wunderbarer Speisung der Fünftausend (Mt 14, 13 – 21) inspirieren ließ und mittels bloßer Berührung eines Gegenstandes mit einer Reliquie – schwups! – ganz viele neue schuf, die man sehr leicht und für viele Taler verkaufen konnte). Wen verwundert es da, dass sich auch andere Kirchen die ausgeblichenen Knochen des verblichenen Jakobus auf den Altar stellten? Und wen verwundert es, wenn Gläubige den u. U. leichteren und kürzeren Weg zu einer dieser Kirchen der langen Reise nach Santiago de Compostela vorzogen. Also kauften sich die „wahren“ Jakobse am Grab des Apostels eine Muschel und knupfelten sie als Zeichen ihrer richtigen und abgeschlossenen Pilgerschaft an den Brotbeutel bzw. an ihren Hut.
Teodoro und Atanasio landeten in der Mündung des Flusses Ulla, befestigten die Barke am Stein Pedrón (Padrón, Camino Portugués) und hoben den Körper des Apostels auf einen großen Stein, der sich wie ein Sarg um ihn legte. Sie baten Königin Lupa um einen angemessenen Platz als Grablege, den die allerdings, sie war ein wenig kratzbürstig, verwehrte. So luden sie den Stein auf einen Wagen und ließen den von wilden Ochsen, die sie durch ein Kreuzzeichen gezähmt hatten, zu ihrem Palast ziehen.
Diese Überführung wird Translacio genannt und in jedem Jahr am 30. Dezember in Padrón und Santiago de Compostela gefeiert.
Lupa ließ sich nunmehr nicht nur christlich taufen, sondern stellte prompt ihren Palast als erste Santiago-Kirche zur Verfügung.
Das Grab des Heiligen geriet in Vergessenheit und wurde Anfang des 9. Jh. vom Eremiten Pelayo wiederentdeckt. Ihm fielen Sterne auf, die besonders hell auf einen bestimmten Punkt wiesen. Hier und da singt in den Quellen ein Engelschor dazu. Ob er das Apostelgrab selbst fand oder ob es ihn, je nach Schönheit des Frohlockens der himmlischen Heerscharen, gruselte und er den Bischof von Ira Flavia (Padrón, Camino Portugués) rufen und ihn es finden ließ … Jedenfalls wurde es durch ihn gefunden, Alfonso II. el Casto, der Keusche, veranlasste den Bau einer Kirche, machte sich von Oviedo auf zur ersten Wallfahrt nach Santiago de Compostela überhaupt und gab damit den Startschuss für einen Pilger-Run, der besonders ab 1122, als Papst Calixt II. der Stadt das Privileg erteilte, einen vollständigen Ablass gewähren zu dürfen, seinesgleichen vergeblich suchte.
Text: „Pilgerführer für Bauchfüßler“
Fotos: Jakobsfigur auf dem Weg nach Finisterre
Wandbilder und Pedrón, Padrón, Camino Portugués